Es war einmal - die Zeit
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Es war einmal in längst vergangenen Zeiten, an einem eiskalten Winterabend, 
als ein kleines Mädchen, mit bangem Herzen und Augen voller Tränen, 
die faltige Hand ihrer Großmutter zärtlich streichelte. 
"Hab keine Angst, vor dem, was wird", sprach die in den letzten Atemzügen 
liegende Frau zu ihrer Urenkelin und ein weises Lächeln überzog das von 
tiefen Furchen geprägte Gesicht. 
"Auch ich war einst jung an Jahren und voller Hoffnungen und Wünsche. 
Ich liebte das Lachen und hatte so mancherlei Blödsinn im Kopf. So, wie du, mein Kind. 
Und ich träumte meinen Traum von einer ganz großen Liebe. 
Ja, mein Schatz, ich träumte ihn, denn ich tat mich schwer, aufzuwachen." 
Eine einzelne Träne stahl sich aus den müden Augen, bahnte sich ihren Weg, 
um als kaum wahrnehmbarer Schatten in die Unendlichkeit der Falten zu sickern. 
Gebannt lauschte das kleine Mädchen den Worten seiner Großmutter. 
"Ich weiß noch genau, es war in einer lauen Herbstnacht, als ich wieder 
einmal schlaflos allein in meinem Bett lag und nur ein zauseliger Plüschkater bei mir war." 
"Ist es der schwarze Kater, Großmutter, mit dem ich nie spielen durfte?" 
"Ja, mein kleiner Schatz, das ist der Kater. Lass mich dir seine Geschichte erzählen..." 
Mühsam richtete sich die alte Frau auf und ein seltsames Leuchten breitete sich über ihr Gesicht aus. 
"Ich glaube, ich war vierzig oder fünfundvierzig Jahre alt, als ich an meinen Fesseln zerrte." 
"Du warst gefangen, Großmutter?", fragte die Kleine mit erschrocken aufgerissenen Augen. 
"Nicht sichtbar gefangen, mein Engelchen, so sagte man früher, 
wenn man spürte, dass das Leben an einem vorbei gleitet. 
Sei so lieb, mein Kind und reich mir den Becher mit dem Tee, 
denn ich glaube, diese Geschichte wird etwas länger dauern als sonst." 
Wenigen kleine Schlucke später nahm die knapp achtjährige ihrer Großmutter 
den Becher wieder ab und stellte ihn zurück auf das kleine schwarze Tischchen neben dem Bett. 
"Danke, mein Schätzchen, das ist lieb von dir. 
Weisst du, damals waren die Computer noch riesengroß und man konnte sie nicht, 
so wie du heute, am Armgelenk tragen." 
Ungläubig runzelte die Kleine ihre Stirn und schob eine ins Gesicht gefallene blonde Locke zur Seite. 
"Ja, ja, es ist wahr! 
So ein Computer war zu meinen Jahre so groß, wie heute der Robi, der den 
Fussboden sauber macht. Ich konnte nicht, so wie du, meinen Finger auf das 
Band legen und in Gedanken meine Freunde rufen, mit denen ich mich unterhalten wollte." 
Schmunzelnd sprach die alte Frau weiter "Wenn wir uns unterhalten wollten, 
so mussten wir uns erst über einen Kasten anmelden und unsere Sätze über 
einzelne Buchstaben eingeben, ehe sie andere lesen konnten." 
"Aber Oma, so kann man doch gar nicht richtig miteinander reden!" 
"Na sicher, ging das! Es dauerte zwar sehr lange, bis eine Antwort kam, aber es ging. 
Vor über fünfzig Jahren gaben sich die Menschen noch Phantasienamen, 
wenn sie miteinander chatten wollte. So wurde die Art der Kommunikation genannt." 
"Das versteh ich aber nicht Oma", sagte das kleine Mädchen ungläubig - 
"warum sagten die Menschen denn nicht, wie sie hiessen?" 
"Weisst du, mein Schatz, zu meiner Zeit gingen die Menschen nicht immer 
ehrlich miteinander um. Wenn sie Streit und Zank zu Hause hatten, flüchteten 
sie sich in die virtuelle Welt und suchten Gefühle, die sie sich zwar erträumten, aber nicht wagten zu leben." 
"Und was ist nun mit dem Kater Oma?", fragte die Kleine und rutsche ungeduldig auf ihrem Stuhl herum. 
"Wart ab mein Kind, gleich komme ich zu dem Kater. 
Auch deine Oma hatte einen Phantasienamen, sie nannte sich Nachtkaterskatze. 
Und der Nachtkater war ein Mann, den deine Oma über diese virtuelle Welt kennen gelernt hatte. 
Irgendwann haben wir uns dann auch getroffen. 
Oh ja, wir waren sehr verliebt in und auch kurze Zeit sehr, sehr glücklich." 
"Warum nur kurze Zeit Großmutter? Was passierte dann?" 
"Schau, mein Liebling, der Mann war mit einer anderen Frau verheiratet und lebte viele Kilometer entfernt. 
Und irgendwann, nach einigen Monaten, erdrückte ihn die Situation und trennte sich von mir. 
Es war eine schlimme Zeit für mich." 
Mit diesen Worten wischte sich die alte Frau eine stille Tränen aus ihren Augen. 
Mit bebender Stimme erzählte sie weiter: 
"Ich wusste, dass ich diesen Mann über alles liebte. Doch ich gab mich für diese Liebe auf. 
Viele Male fanden wir wieder zusammen und viele Male tat es mir furchtbar weh, 
wenn er mich wieder verließ. 
Heute weiß ich, daß diese drei Jahre keine verlorenen Jahre für mich waren, 
denn ich dachte viel über mich nach." 
"Und Opa? Oma, wann hast du Opa kennengelernt?" "Opa lernte ich erst viel viel später kennen. 
Doch ich hatte nie ein solch tiefes Gefühl für deinen Opa verspürt, wie ich es für den Kater hatte. 
Dein Opa wusste es und konnte es auch verstehen. 
Aber im Laufe der Zeit lernte ich auch, deinen Opa zu lieben. 
Wir waren immer ehrlich zueinander und sagten, was wir dachten. 
Sicherlich gab es auch viele Missverständnisse, aber wir haben immer über alles offen geredet. 
Das Reden ist sehr sehr wichtig, mein Schatz, denn nur so lassen sich viele Probleme klären." 
Ein Lächeln überzog das Gesicht der greisen Frau und sie tätschelte zärtlich den Arm ihrer Urenkelin. 
"Und was wurde aus dem Kater, Oma?" 
"Das weiß ich nicht, denn wir haben uns aus den Augen verloren. 
Ganz tief in meinem Herzen habe ich immer gewusst, dass er eines Tages vor meiner Tür stehen wird. 
Aber wir haben uns nie mehr gesehen." 
Erschöpft und regungslos lag die alte weise Frau, als ihre Enkelin, 
den Plüschkater vom Sofa an das runzlige Gesicht ihrer Oma legte. 
Mit einem tiefen Seufzen presste diese das Spielzeug an sich und atmete ein letztes Mal tief ein, 
ehe sie für immer ihre Augen schloß. 
Zur gleichen Zeit, nur wenige Meter von einer Wohnungstür entfernt, 
erstarrte ein greiser Mann in seinen Bewegungen und ein vergilbtes Foto fiel 
wie in Zeitlupe zu Boden, ehe auch seine Seele den Körper verließ. 
In einer, gespenstig von Feuern beleuchteten Höhle, schlugen zwei Klauen aneinander. 
Höhnisches Gelächter ließ Amor erschauern. 
Seit über fünf Jahrzehnte an die Truhenwand gekettet, preßte er seinen 
letzten Auftrag fest an sich: einen Pfeil mit der Aufschrift Nachtkater und 
Nachtkatze, die Spitze in drei Jahren Zeit getränkt...