Begegnung
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So leise wie möglich schlich er sich durch den Wald. Er war hierher gekommen, in den Norden Kanadas, um Wölfe zu jagen. Die Tiere waren zwar geschützt, doch ihre Felle brachten auf dem Schwarzmarkt viel Geld. Für dieses lukrative Geschäft lohnte es sich durchaus, die Gefahr einer Strafe einzugehen. Mit den Wölfen, die hier lebten, konnte sich ohne große Probleme ein Vermögen machen lassen. 
Durch ein Geräusch hellhörig geworden, blieb er stehen und ließ sich anschließend vorsichtig auf die Knie nieder. Als er durch sein Fernglas schaute, konnte er in einiger Entfernung schwarzes Fell durch die Büsche schimmern sehen. Angespannt tastete er nach seinem Gewehr, das er auf den Boden gelegt hatte, um den Wolf  zu erschiessen, sobald dieser den Schutz des Gebüschs verließ. 
Wertvolle Sekunden verstrichen und er hatte das Gewehr immer noch nicht gefunden. In sich hinein fluchend senkte er seinen Blick, auch wenn er dadurch das Tier kurz aus den Augen lassen musste. Ohne Gewehr hätte er sowieso nichts ausrichten können. Er fand es schließlich, doch als er es ergriff, fühlte er plötzlich Unbehagen in sich aufsteigen. Er spürte das kalte Metall um das sich seine Finger schlossen und fröstelte. Wie viele Leben hatte diese Waffe bereits ausgelöscht? Er wusste es nicht mehr. 
Auf einmal wurde ihm bewusst, dass er sich nicht mehr bewegen konnte und verließ dennoch die Stelle, an der er gekniet hatte. Wie in Trance sah er nun alles aus einer anderen Perspektive. 
Der Wald erschien ihm viel lebendiger. Überall hafteten verschiedene Gerüche und Düfte, er hörte Geräusche, die er nie vorher gekannt hatte und nahm alles mit einer Intensität wahr, die ihn verblüffte. 
Er hörte plötzlich das Heulen eines Rudels - seines Rudels - und wusste sofort, wo es sich aufhielt. Als er am Lagerplatz angekommen war, wurde er freudig von den anderen Wölfen begrüßt. Die Welpen sprangen ihm winselnd entgegen und leckten ihm über die Schnauze. 
Schließlich stimmte ein Wolf erneut den Rudelgesang an und alle, auch er fielen mit ein. 
Anschließend begaben sich einige der Erwachsenen auf die Jagd, während andere zurück blieben, um auf die Welpen aufzupassen. 
Er lief mit dem Rudel. Er spürte den Zusammenhalt der Gruppe, die Liebe der einzelnen Familienmitglieder zueinander und wusste, dass er ein Teil davon war. Er ließ sich in die Gemeinschaft fallen und wurde von ihr getragen. 
Schmerzen in seiner rechten Hand, die sich krampfhaft um den Gewehrlauf klammerte, machten ihm bewusst, wo er war. Er sah die Welt wieder mit menschlichen Augen. 
Verwirrt überlegte er, was gerade geschehen war. Etwas hatte seine Seele gestreift. Etwas Wildes und unheimlich schönes . 
Als er aufsah, erblickte er den schwarzen Timberwolf, der ihn scheinbar interessiert musterte. Ihre Blicke trafen sich, nur Sekundenbruchteile lang und in diesem Moment schien es ihm, als spürte er das Herz des Tieres gemeinsam mit seinem schlagen. 
Irritiert blinzelte er, doch als er erneut die Gestalt des Wolfes suchte, fand er sie nicht mehr. Er schüttelte ungläubig den Kopf und sah voller Verachtung auf sein Gewehr, das er immer noch in den Händen hielt. 
Nicht weit entfernt von ihm heulte ein Wolf.